Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

306 Die allgemeine politische Lage um die Jahreswende 1916 
Willen der Gegner und den Richterspruch des Amerikaners war Deutsch¬ 
land an der Schwelle des Jahres 1917 noch nicht erbötig. Es stand seinen 
verderbensinnenden Feinden noch ungebrochen gegenüber, schwang sein 
Schwert in funkelnden Kreisen von der Somme bis zur Düna und herrschte 
vom Ärmelkanal bis zum Schwarzen Meer. 
Ob Deutschland gut tat, unter diesen Amständen die Waffe des U-- 
Bootkrieges zu ergreifen, statt zu warten, bis Wilsons Bemühungen 
feste Gestalt angenommen hatten oder endgültig gescheitert waren — das 
ist eine andere Frage. Die Antwort liegt im Dunkel. Sie wird jedoch 
durch ein Wort, das der Kanzler am 9. Januar 1917 zu Pleß gesprochen 
hat, in gewissem Sinne nähergerückt. 
Es war gegen Ende der entscheidenden Beratung. Bethmann hatte 
bereits die Erklärung abgegeben, daß er nicht in der Lage sei, zu wider¬ 
sprechen, wenn die militärischen Stellen den I7-Bootkrieg für notwendig 
hielten. Nach ihm nahm Ludendorff das Wort und wies in eingehenden 
Ausführungen auf die Notwendigkeit hin, das Westheer zu entlasten, dem 
man eine zweite Sommeschlacht ersparen müsse. Nicht nur Englands, 
sondern auch Rußlands und Frankreichs Angriffskraft werde geschwächt, 
wenn der Schiffsraum vermindert werde, den der Brite seinen Bundes¬ 
genossen zur Verfügung gestellt habe. Es gelte zu handeln, der Armee 
den Kampf zu erleichtern, der vom Feinde mit überwältigender Überlegen¬ 
heit an Rüstzeug und Menschen geführt werde. Dann sprach Hindenburg. 
Er unterstrich die Sätze Ludendorffs und erklärte, nur tatkräftiges, rück¬ 
sichtslosestes wandeln könne helfen, die Gelegenheit zur Entfesselung des 
I7-Bootkrieges sei so günstig wie kaum jemals wieder, und er schloß mit 
der nachdrücklichen Versicherung: „Wir können ihn führen und wir müssen 
ihn führen." 
Da erwiderte der Kanzler — und alle Bedenklichkeit, alle Nach¬ 
giebigkeit verschmolz in diesen Worten: „Ja, wenn der Erfolg winkt, müssen 
wir auch handeln!" 
Dieses Eingeständnis öffnet die Tür zu der Rätselkammer, in der die 
deutsche Staatskunst über Krieg und Frieden nachdachte. Bethmann hatte 
weder den Glauben an Wilsons Macht und Willen, den Krieg durch einen 
vernünftig abgewogenen Vergleichsfrieden zu beenden, noch die feste Über¬ 
zeugung, daß der I7-Bootkrieg Deutschland den Sieg sichern könne. Der 
Zweifler wählte das Zweifelhafte, obwohl ihn die Gewißheit bedrückte, daß 
Amerika dadurch in den Krieg getrieben werde. Er beschied sich mit der 
Aussicht auf Erfolg, die aus den Berechnungen und den Versprechungen 
der Marine winkte, beugte sich dem überlegenen Willen, der ihm aus Luden¬ 
dorM Wesen wie eine lodernde Flamme entgegenschlug, und nahm den 
I7-Bootkrieg als ultima ratio regis in seine Politik auf, obwohl er mehr 
von ihm fürchtete als hoffte.
	        
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