Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

Woodr sw Wilson und Bethmann Äollweg 293 
verhängnisvoll geworden. Erfolgte das Angebot doch im richtigen politischen 
Augenblick und zugleich im größten strategischen Spannungsmoment des 
Krieges. Es erging zu einer Zeit, da die beispiellose kriegerische Verwicklung 
noch mit Aussicht auf die Erhaltung oder auf eine angemessene Neugestaltung 
des europäischen Kosmos geschlichtet werden konnte. Noch waren die welt¬ 
wirtschaftlichen Beziehungen und Jnteressenverflechtungen nicht völlig zer- 
stückt, nicht ganz verwirrt worden, noch lebte in den Staatsgebilden Europas 
das Gefühl für geschichtliche, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenhänge, 
das einer blinden Anwendung des Nationalitätenprinzips vernünftige Schräm 
ken setzte, noch war die Geldwirtschast des Kontinents nicht völlig zerrüttet, 
noch lag die soziale Revolution im Schoße der alten Ordnung gebunden. 
Wurde der Krieg fortgesetzt, Deutschland von seinen Gegnern als Erz¬ 
feind der Menschheit behandelt und zum Kampf bis zum Untergang ge¬ 
zwungen, so rief man zerstörende Kräfte zu Äilfe, über die man die Herrschaft 
verlor, ehe sie ihr Werk getan hatten. Daß dies verkannt und diese Erwägungen 
der Niederwerfung Deutschlands und der Zertrümmerung Mitteleuropas 
nachgesetzt wurden, ist die geschichtliche Schuld der Westmächte, und diese 
Schuld an der Fortsetzung des Weltkrieges wiegt schwerer als die Schuld 
an der Entfesselung des Krieges, wem man diese Schuld auch zu¬ 
schreiben und wie man sie auch auf die kriegführenden Großmächte ver¬ 
teilen mag. 
Woodrow Wilson und Bethmann Lollweg 
Die Tatsache, daß die allgemeine kriegerische Verwicklung zu Ende 
des Jahres 1916 in eine Krisis gemündet hatte, aus der der Weltfriede 
hervorgehen konnte, war auch von Woodrow Wilson erkannt und wahr¬ 
genommen worden. 
Da die deutsche Regierung ihm in der Frage des 17-Bootkrieges nach¬ 
gegeben hatte und er inzwischen wieder zum Präsidenten der Vereinigten 
Staaten gewählt worden war, fühlte er sich stark genug, das Mittleramt zu 
üben, zu dem er sich kraft seiner Stellung und seiner Persönlichkeit für be¬ 
rufen und auserwählt hielt. Aus religiöser Quelle gespeister Ehrgeiz und 
visionär anmutende Selbstsicherheit vermählten sich in Wilsons Wesen mit 
scharfem, dialeftisch geschultem Verstand und machten aus ihm einen Mittler 
von hohen Gaben, wenn ihm zugleich Gelegenheit gegeben wurde, als Schieds¬ 
richter aufzutreten und den autokratischen Zug seines Charakters zur Geltung 
zu bringen. Obwohl seine Sympathien dem stammverwandten England 
gehörten und er für dessen rücksichtslose gradlinige Staatskunst mehr Ver¬ 
ständnis hatte als für Deutschlands schwankende, unklare Politik, erschien 
er damals noch unbefangen genug, das Amt eines Weltenrichters auszuüben. 
Selbst Bethmann Lollweg billigte ihm diese Eignung zu. Er hatte daher
	        
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