Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Dritter Band. (3 ; 1919)

Die strategische Lage im Stillen Ozean 39 
Während die deutschen Handelsschiffe auf die Warnung ihrer Funk¬ 
warten neutrale Läsen aufsuchten, um sich den überall lauernden Feinden 
zu entziehen, setzte die Landelsschiffahrt der Ententemächte ihre Tätigkeit 
ruhig fort. Sie glaubte keinen Grund zu ernstlicher Besorgnis zu haben, 
da nur wenige deutsche Kriegsschiffe auf überseeischen Stationen lagen 
und die Geschwader Englands, Australiens, Frankreichs und Japans die 
Meere beherrschten. Trotzdem kam es zum klassischen Kreuzerkrieg, zu zahl¬ 
reichen Angriffen deutscher Kreuzer auf Landelsschiffe der vereinigten Gegner 
und zuletzt zum Zusammenstoß feindlicher Geschwader, die sich auf denk 
freien Meere, in atlantischer Ferne auf Leben und Tod bekämpften. 
Da in den ersten Tagen des Weltkrieges noch nicht zu erkennen war, 
daß der Seekrieg sich von den Fesseln des Völkerrechts befreien werde, ragte 
der Kreuzer-Landelskrieg anfangs als einziges Überbleibsel einer primitiven 
Zeit in die moderne Gegenwart. Wie einst Surcoufs und Nelsons Fregatten 
friedliche Landelsfahrer gejagt hatten, um sie als gute Prise heimzuführen 
oder nach Übernahme ihrer Besatzung zu versenken, so übten jetzt die deutschen 
kleinen Kreuzer und einige Lilfskreuzer, die auf den Stationen Ostasiens, 
Ostafrikas und an den amerikanischen Küsten die Reichssiagge zeigten, das 
Landwerk der Korsaren. Aber welch ein Anterschied zwischen einst und jetzt! 
Einst gingen Lolzschiffe von wenigen hundert Tonnen Nutzlast zugrunde, die 
in ihrem Bauche wohl kostbare Rohstoffe trugen, aber als einfache hölzerne 
Schale keinen großen Wert darstellten und deren Verlust die Versorgung 
Europas nur wenig schmälerte. Jetzt wurden Schiffe von 4000 bis 40 000 
Tonnen in die Tiefe gesandt, die Waren im Werte von vielen Millionen 
an Bord trugen, selbst zur Weltversorgung unentbehrlich waren und als 
Wunderwerke der Technik mit den alten Seglern nicht verglichen werden 
konnten. Ihr Verlust schädigte nicht nur den Eigentümer und den Leimat¬ 
staat, sondern die ganze Menschheit. Gerade der Kreuzerkrieg, der auf 
Englands Betreiben vom Völkerrecht wohl konserviert in die moderne Zeit 
hinübergenommen worden war, zeigte, daß eine kriegerische Auseinander¬ 
setzung zwischen zivilisierten Staaten im zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr- 
geeignet war, Weltkonsiikte zu lösen, sondern dazu beitrug, sie zu verschärfen 
und neue, unbekannte Konflikte zu entfesseln. And dennoch haftete an diesen 
Kreuzerjagden, besonders an den Kämpfen, die in den südlichen Meeren 
zwischen den Kriegsschiffen der feindlichen Mächte ausgefochten wurden, 
etwas wie ein letzter romantischer Schimmer. 
Die strategische Lage im Stillen Ozean 
Im Frühsommer des Jahres 1914 dachte im fernen Osten niemand an 
Kriegsgefahr. Die deutschen Panzerkreuzer lagen in der Bucht von Kiautschou. 
Auch das Flaggschiff des englischen Chinageschwaders, „Minotaur", hatte
	        
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