Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Dritter Band. (3 ; 1919)

280 Der Feldzug im Osten vom 14. Mai bis 7. Juli 1915 
vollen Kraft durchzuführen und den Russen das Schwert noch einmal 
auf die Brust zu setzen. Die Schlacht wurde zunächst in der Linie Miko- 
lajow—Komarno—Grodek—Jaworow—Niemirow—Lubacz ow—Cewkow— 
Cieplice ausgesuchten, erfaßte aber allmählich die ganze galizische Front von 
den Mäandern des Dnjestrstromes bis zur Tanewwüste und wurde schließlich 
schmal zugespitzt zwischen Grodek und Niemirow aus getragen. 
Die Stellungen, in denen die Russen am 16. Juni Fuß gefaßt hatten, 
waren noch fester gefügt als ihre Linien am San. Meilenweit spannen 
sich Gräben und Drähte, ragten Dorf- und Waldverhaue. Sie bildeten 
ein tiefgestaffeltes Verteidigungssystem, das im Hintergrund auf der 
Linie Lemberg—Zolkiew—Rawa-Ruska—Krasnobrod ruhte. Die Russen 
wußten, daß sie nicht nur Lemberg und Ostgalizien, den politischen 
Siegespreis ihres ersten Sommerfeldzuges, sondern auch die Südflanke des 
westrussischen Festungsraumes verteidigten, die jetzt verwundbarer war 
als im August des Jahres 1914. Damals war die russische Äbermacht 
schlagfertig aus den Wäldern Podoliens und Wolhyniens und den Bug¬ 
festungen vorgebrochen, um die schwächere österreichisch-ungarische Nord¬ 
armee, die trotz der ungenügenden Deckung ihrer rechten Flanke kühn auf 
Lublin, Chotin und Grubieszow rückte, bei Lemberg zu umfassen und zu 
erdrücken. Diesmal fochten die Armeen des Zaren — um Lunderttausende 
geschwächt und der Landlungsfreiheit beraubt — in der Verteidigung und 
standen den Verbündeten in parallel gerichteter Front gegenüber, aus der 
sie keine Amfassung mehr ansetzen konnten. Sie waren unfähig geworden, 
die große konzentrische Operation zu wiederholen, der sie im September 1914 
den Sieg verdankt hatten, aber sie wollten stehen und standhalten. 
Mit vorstrebenden Flügeln trat Mackensen ihnen entgegen. Rechts 
lag Boehm-Ermollis 2. Armee schon am 16. Juni im Kampf um die Grodeker 
Teichlinie, links wälzte sich die Armee des Erzherzogs Josef Ferdinand lang¬ 
sam gegen die Linie Narol—Tarnogrod und den Tanew. Das Zentrum, 
Mackensens 11. Armee, kam am 17. Juni vor der feindlichen Lauptstellung 
an und rückte sofort zum Angriffskeil zusammen. Da die Teichlinie und 
die Lemberger Westfront nördlich umgangen werden sollte, hatte Mackensen 
den rechten Flügel der 11. Armee im Zusammengehen mit Boehms ver¬ 
stärktem linken Flügel zur Durchbrechung und Auftollung der feindlichen 
Schlachtordnung bestimmt. Man wußte, daß es sich um eine blutige Ent¬ 
scheidung handelte, nachdem Linsingens Versuch, die Wereszykalinie im 
Süden zu umgehen und aus den Angeln zu heben, schon im Entwurf ge¬ 
scheitert war. 
Die Russen erwarteten den neuen Angriff in ihren gewaltigen Ver¬ 
schanzungen festen Fußes. Das Gelände war ihnen nirgends günstiger 
gewesen als in dieser letzten Trutzstellung vor den Toren Lembergs. Vor 
Boehm-Ermolli dehnte sich das Wirrsal von Schlauchseen und Talsümpfen,
	        
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