Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Zweiter Band. (2, 1917)

262 Der Feldzug im Osten vom 6. Nov. bis 17. Dez. 1914 
Das noch schwerer geprüfte Nordheer österreich-üngarns, das sich am 
San und am Dnjestr abermals müde gerungen hatte, war nach der Ansicht 
der Russen kaum noch imstande, sich außer Kanonenschußweite von Krakau 
im Felde zu behaupten. 
Da man vor Iwangorod und Warschau die Tatze des Löwen gespürt 
hatte, war man im Lager Nikolai zur Überzeugung gekommen, daß sich die 
russische Hauptmacht gegen Lindenburg zu wenden habe. In welchem Maße 
der russischen Leeresleitung bei diesem Kalkül die Tatsache zum Bewußtsein 
gekommen ist, daß sie unfrei handelte, entzieht sich einer Erörterung. Was 
sie tat, tat sie mit Zuversicht und aus starker Entschlußkraft und adelte dadurch 
das auf die Überlegenheit der Masse gestellte Unternehmen. 
Lindenburgs Vorstoß auf Iwangorod und Warschau hatte die Russen 
magnetisch aus Galizien und aus dem Innern des Reiches nach Polen 
gezogen und sie gezwungen, ihre Streitkräfte an der Weichsel anzu¬ 
häufen und in gewaltiger Pressung zusammenzuballen. Als der deutsche 
Feldherr dem Gewicht der Masse nachgab und seinen kühnen Vormarsch 
abbrach, wurden die Russen von selbst in das polnische Vakuum hinein¬ 
gezogen. Nun füllten sie es mit vier Armeen, die sich mühsam darin zurecht- 
schoben, und folgten, von Erfolgen getragen und ihrer Überlegenheit um 
so gewisser, als sie von Nowogeorgiewsk her in südwestlicher Richtung über- 
fiügelnd und umfassend zu wirken glaubten, dem ergeben zurückflutenden 
Gegner. 
Aus der doppelseitigen Angriffsbewegung auf den Flügeln des ur¬ 
sprünglichen russischen Kriegsplanes war also eine allgemeine Offensive mit 
vorgebautem Zentrum und angehängten Flügeln geworden, eine strategische 
Neugliederung, die Lindenburg dem Sieger vor dem Ausweichen gewisser¬ 
maßen eingeflüstert hatte. 
Die russische Leeresleitung war ihres Sieges und einer raschen Beendi¬ 
gung des Feldzuges nie sicherer als in diesen Tagen. Sie schöpfte diese 
Gewißheit aus der vermeintlichen strategischen Überlegenheit, dem Bewußt¬ 
sein einer zahlenmäßigen Übermacht und den bereits errungenen Erfolgen, 
und war der Überzeugung, daß si e das Gesetz prägte und die Gegner nicht 
mehr imstande seien, die Freiheit des Landelns zurückzugewinnen. 
Das war ein furchtbarer Irrtum. 
Die Lage der Verbündeten 
Lindenburg hatte die im Schlachtengewirr verstrickte Freiheit des 
Landelns in dem Augenblick zurückgewonnen, in dem er den Befehl zu« 
allgemeinen Rückzug ausgab. Als er den Kampf an der Rawka abbrach 
und Dankls Österreicher von der Opatowka südwärts wichen, war man sich
	        
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