Volltext: Flandern 1917 [27] (Band 27/1928)

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Drinnen hilft er, dem Kleinen, der leichenblaß an der Wand hockt, 
den Rock über der Brust aufschneiden. Dann hebt er behutsam das 
Hemd auf. Die Maschinengewehrkugel hat von rückwärts das linke 
Schulterblatt durchschlagen und ist schräg nach rechts vorn durch die 
Lunge gefahren. Der Einschuß ist glatt und blutet kaum. Der Ausschuh 
ist ein blutiges Loch von fast Handflächengröße. Das Blut quillt un- 
aufhaltsam. 
Der Oberkörper des Kleinen ist jetzt nackt, das Blut läuft in die 
Hofe hinein. Er läßt den Kopf nach der Seite hängen, und man sieht, 
daß er mit einer Ohnmacht kämpft. 
Der Gefreite nimmt die Verbandpäckchen, die man ihm reicht, 
legt zwei stillende Wattebausche mitten auf das runde Loch in der 
rechten Brust. Drei Rippen liegen bloß, die mittlere von ihnen ist 
völlig zersplittert. Der Kleine folgt jeder seiner Bewegungen mit den 
Augen. Zwischen seinen zusammengepreßten Lippen zeigt sich eine 
schmale Blutspur. 
Der Gefreite wickelt ein Päckchen nach dem anderen um die Brust 
und überkreuz zwischen den Schultern. Der Kleine hat noch kein dunkles 
Haar auf der Brust. Es gibt einen faustdicken Verband. Aber vorn, 
wo das Loch ist, färbt es sich dennoch immer wieder rot. 
„Nicht wahr . . ." flüstert der Kleine, „es ist nicht tödlich ... ich 
komme noch bis nachhause damit." 
Der Gefreite lächelt. 
„Ich habe drei Lungenschüsse, zwei auf einmal vor Verdun, einen 
an der Somme. Man sieht nichts als sechs Löchernarben an meiner 
Brust. Die Hauptsache ist jetzt still sitzen." 
Daß keiner seiner drei Schüsse so ausgesehen hat wie dieser, ver- 
schweigt er. 
Der Kleine ist ganz getröstet. Die Schmerzen, oh, die sind gar 
nicht so schlimm. 
Neben ihm sitzt der Verwundete, den er auf den Schultern herein- 
geschleppt. Still greift er nach des Kleinen blasser und kraftloser Hand 
und streicht ganz leise darüber, immer wieder. 
Der Kleine, der nun halb in Ohnmacht gesunken, hat ein Gefühl, 
als sitze neben seinem Bett daheim die Mutter und streichle ihn, 
weil er nicht einschlafen kann. Er muß wohl geträumt haben, einen 
schweren Traum. Die Mutter hat ihn stöhnen und rufen gehört und ist 
still herbeigekommen. Nun sitzt sie neben ihm. Er möchte ihr noch 
etwas sagen. Aber die Augenlider sind ihm so schwer. Und es ist ja
	        
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