Volltext: Flandern 1917 [27] (Band 27/1928)

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Sie werden so unverschämt, daß sie auch bei Tage ihrem Handwerk 
nachgehen. Sie schließen sich zu ganzen Schwärmen zusammen und be- 
treiben in hellen Nächten schamlos und ungeniert unter lautem Quiet- 
schen die Sorge um ihre weitere Vermehrung. Sie tun ganz, als seien 
sie zu Herren des Waldes geworden, und der Wald in seiner neuen Ge- 
stalt behagt ihnen bedeutend besser als der frühere. 
Was macht es ihnen aus, wenn allnächtlich Hunderte von ihnen in 
Fallen gefangen, andere Hundert zertreten, zerquetscht, mit Knüppeln 
erschlagen und erstochen werden? Was kümmert es sie, wenn Tausend 
in ihrer Freßgier das süßlich schmeckende Gift verschlingen und unter 
scheußlichen Krämpfen in ihren Löchern verrecken? Was schiert sie, daß 
sich hin und wieder einer von diesen Menschen, die heuer so zahlreich 
und laut im Walde sind, ein langes Rohr an die Backe hält und einen 
knallenden Blitz schleudert, der ihnen den Leib aufreißt? 
Wie weiland die Kaninchen im Kampf gegen die Ratten, so setzen 
heute die Ratten im Kamps gegen die Menschen als stärkste Waffe ihre 
Fruchtbarkeit ein. Und sie müssen wohl in der Natur einen Bundes- 
genossen haben, denn ihre Fruchtbarkeit wächst schneller als die Kampf- 
mittel ihrer Gegner. Nicht lange, und der Wald ist so voll von ihnen, 
daß sie auswandern müssen. 
Heimtückisch sind sie und ohne jede Sentimentalität. Bald haben sie 
gelernt, wie Menschenfleisch schmeckt. Es muß wohl eine Delikatesse für 
ihren Gaumen sein, denn es ist bald so schlimm im Wald, daß kein Ge- 
fallener länger als eine Stunde unbehelligt liegen kann. 
Schließlich wagen sie sich sogar an die Verwundeten, die sich nicht 
helfen können. Es genügt ihnen nicht mehr, die Toten anzufressen, ihre 
Gier verlangt nach warmem Fleisch, sie wollen Ersatz für die Kanin- 
chen, die ausgestorben sind. 
Die Rattenplage ist furchtbar im Walde. 
* 
Vögel gibt es nicht mehr, die den Morgen einsingen und mittags 
bei Sonnenhitze im kühlen Gewölbe der Zweige ihre munteren Gesell- 
schaftsspiele betreiben. Kein Specht hämmerl nach Würmern und 
Larven, kein Häher streicht krächzend durch die Baumkronen, kein 
Kuckuck ruft aus dem Gebüsch, keine Schwarzamsel, keine Drossel, kein 
Distelfink. Die letzten, die sich verzogen haben, war eine alte verdrossene 
Rabenfamilie. Aber selbst ihnen, obwohl sie doch anspruchslos sind und 
Flandern 1317. 
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