Volltext: Flandern 1917 [27] (Band 27/1928)

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Auch jetzt hat der Wald noch seine Schönheiten. Aber sie sind 
anderer Art. 
So zum Beispiel bei Nacht, wenn tausend Flammen aus seinen ver- 
kohlten Baumstümpfen sprühen und wenn ihn der brüllende Donner der 
Abschüsse durchrollt. In seinem Gestrüpp versteckt mögen an fünfhundert 
Geschützrohre lauern, bei Tage jedem Späherauge verborgen. 
Bei Nacht aber erwachen sie und recken sich. Schwarze Schatten 
entkriechen den Höhlen und Blockhäusern und hantieren an den Rohren. 
Uber die Schneisen ziehen lange Kolonnen mit Munition. Sie häufen 
ihren Inhalt neben den Geschützen zu riesigen Stapeln. Aber wenn sie 
in der nächsten Nacht zurückkehren, ist alles verbraucht. Bon einer 
wilden Gefräßigkeit ist der Wald. 
Schön ist der Wald auch, wenn ihn der Brand der Munitionslager 
mit bläulichen Flammen überglüht. Dann steigen riesige Funkengarben 
hoch auf in die Nacht, krachend und knatternd überquillt ihn der Ex- 
plosionslärm, und selbst die glotzenden Mäuler der schweren Mörser ver- 
stummen aus achtungsvollem Respekt. 
Schön ist er auch, wenn sich im Morgengrau die bleichen Schwaden 
der Gasgranaten um das schwarz verbrannte Geäst versammeln und 
über die Lichtungen kriechen, auf denen kein Grashalm mehr grünt. 
Dann wird es totenstill im Wald, so still, daß man meinen könnte, 
es habe niemals hier Leben gewohnt. Die fünfhundert Rohre schlafen 
einen tiefen, todähnlichen Schlaf. Kein Ast splittert, kein Abschuß 
brüllt, kein Pferd wiehert, kein Menschenwort unterbricht das grausige 
Schweigen. Die Leichen der Erschlagenen bedecken die Schneisen, ver- 
lassene Protzen stehen am Rand, Pferdekadaver strecken alle Viere nach 
oben. Das bleiche Gas kriecht umher wie Fetzen eines ungeheuren 
Leichentuches, das über Nacht auf den lärmenden Wald sich gesenkt. 
Bei den Geschützen kauert eine einsame Gestalt, die Maske glotz- 
äugig vor dem Gesicht. Die anderen hocken in den Löchern, deren Ein- 
gänge mit Zeltbahnen und feuchten Tüchern verhängt sind. Süßlicher 
Geruch durchzieht den Wald und vermischt sich mit dem Gestank ver- 
wesenden Fleisches. 
Ein Gewirr von Stacheldraht durchquert den Wald mehrfach von 
Norden nach Süden. Hier und da sind Widerstandsnester eingebaut. In 
ihnen wohnen die Besatzungen der Maschinengewehre, die zum Schutze 
der kostbaren Artillerie eingesetzt sind für den Fall, daß der Tommy 
einmal plötzlich von Draaibank her oder über den Broenbach im Süden
	        
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