Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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und Februar 1918 in Nazareth die Rapporte der türtischen 6. Armee 
vom oberen Tigris erhielt, da war die Ziffer der an „Erschöpfung" ge- 
storbenen Soldaten gewaltig. Die Heeresleitung aber war machtlos, 
den ausgehungerten Truppen, deren türkischer Verpflegungsdienst alle 
Mittel erschöpft hatte, Nahrung zuzuführen. Es fehlte an den nötigen 
Transportmitteln während der alle Wege ungangbar machenden Regen- 
zeit, das Land aber war selbst völlig ausgeplündert. 
Es entzieht sich der Kenntnis, wie hoch sich die Ziffer der an Hunger 
gestorbenen Menschen unter der eingeborenen Bevölkerung jenes Teiles 
von Mesopotamien belaufen hat. Die Vorkommnisse, wie sie die furcht- 
bare Hungersnot im einzelnen zeitigte, übertreffen die ausschweifendste 
Phantasie des Fernstehenden. Nicht immer wird der Kannibalismus 
vertierter Menschen von*dem Arm der strafenden Gerechtigkeit erreicht 
worden sein. In Mosul mußte der Besitzer einer Garküche mit seiner 
Tochter öffentlich ausgehängt werden, weil sie das Fleisch verhungerter 
Kinder zu ekler Speise verwendet und verkauft hatten. 
Angesichts solch menschlichen Elends wird die Frage: „Wen trifft 
die Schuld?" zu einer so furchtbar anklagenden, daß sie unser mit reinem 
Gewissen dastehendes Volk aufrütteln muß, aufpeitschen sollte zu einer 
fortgesetzten Abwehr der gegen uns erhobenen Beschuldigungen. Wehe 
einem Volk, das als Anstifter all dieses furchtbaren Elends, dessen Größe 
uns Zeitgenossen noch nicht einmal voll zum Bewußtsein gekommen ist, 
von der Weltgeschichte gebrandmarkt werden würdel 
Wenn unserer deutschen Heimat ähnliche Schreckensbilder erspart 
blieben, wie sie der Hunger im Orient zeitigte, so war das nicht das 
Verdienst unserer Feinde. Vermöge unserer Tatkraft und unserer Or- 
ganisationsleistungen ist uns das Schlimmste erspart geblieben. Lange 
aber noch wird unser Volk unter den Folgen jener völkerrechtswidrigen 
Blockade zu leiden haben, nicht nur physisch, sondern viel mehr noch 
moralisch. Denn letzten Endes liegen die Wurzeln der Unmoral, an der 
das deutsche Volk heute noch krankt, im Hunger und den Entbehrungen 
jener hinter uns liegenden Kriegszeit. 
Am 20. Oktober setzte ich meine Fahrt fort, diesmal im Kraft- 
wagen, begleitet von meinem Adjutanten, Stabsarzt Seiler. Das 
nächste Ziel war Beirut und der Westhang des Libanon, wo es galt, 
einen geeigneten Platz für ein Genesungsheim ausfindig zu machen. In 
rascher Fahrt durchkreuzte ich in südwestlicher Richtung die Hochebene 
von Eoelesyrien, die in jetziger Jahreszeit, verbrannt von der sengenden 
Sonne des syrischen Sommers, den Charakter der kahlen Steppe zeigt.
	        
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