Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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Die meisten von ihnen waren wohl aus frischer Abenteurerlust, in der 
Erwartung einer blühenden Romantik des Orients herausgekommen und 
wurden nun seelisch und moralisch das Opfer herbster Enttäuschung. 
Kein Lebensgenuß irgendwelcher Art, schlechte Verpflegung, dürftige 
Unterkunft, Ungeziefer, noch ungeregelter Dienst, überhaupt Fehlen 
einer alles zusammenfassenden Organisation! Dazu kam das Klima, die 
drückende Hitze, der ewigblaue Himmel und die dadurch bedingte gerade- 
zu blendende Fülle des Lichtes, alles das wirkte auf die Widerstands- 
kraft des Fremdlings. Noch erheblich stärker wurde der einfache Mann 
mitgenommen, da sein innerer Halt solch ungewohnten Eindrücken ge- 
genüber viel geringer war als beim Offizier. 
Dieser Zustand, „die Kinderkrankheit des Nordländers im heißen 
Klima", war für gesunde Menschen vorübergehend; Schwächlinge da- 
gegen fielen ihm leichter zum Opfer. So erschoß sich ein junger Flieger- 
offizier ohne jeden nachweisbaren Grund, nachdem er einen kurzen un- 
bedeutenden Fieberanfall überstanden hatte. 
Auch in sittlicher Beziehung war der Boden des Orients für schwache 
Charaktere ein heißer, gefährlicher Boden. Was im Mittelalter auf den 
Kreuzzügen an der physischen Kraft der alten Kreuzfahrer nagte und sie 
mit zerstörte — wir konnten dasselbe heute leider an nicht ganz seltenen 
Beispielen wieder erleben und standen ihm fast machtlos gegenüber. 
„Der Krieg als Erzieher" ist eines jener Schlagworte, die die Länge des 
Weltkrieges zufchanden gemacht hat. Nur für sittlich starke, in sich selbst 
gefestigte Naturen hat jenes Wort seine Geltung bewahrt. Belehrungen, 
Warnungen und Strafen nützten wenig. Als bestes Vorbeugungsmittel 
für das zu erwartende Asienkorps galt Ordnung, Disziplin, geregelter 
Dienst, abwechselnd mit geeigneter Unterhaltung und sportlicher 
Betätigung. 
Und nun hob auch die Cholera drohend ihr Haupt. Bei der 59. 
türkischen Division, die zehn Kilometer südlich von Haleb bei Bodeji im 
offenen Lager lag, waren gehäufte Fälle gemeldet; ob und in welchem 
Umfange eine Impfung stattgefunden hatte, war nicht sicher festzu- 
stellen. 
Nach einer Fahrt über felsiges Wüstengelände, die Knochen und 
Gummi kostet, erreiche ich den Unterkunftsraum der Division. Sie liegt 
verstreut, die Erkrankten abgesondert, aber verseucht sind alle Truppen. 
Die unter leichteren Erscheinungen Leidenden befinden sich in oder vor 
den Mannfchafts-Spitzzelten auf nackter Erde, ohne Decken und bar jeder 
besonderen Pflege, gegen die brennende Sonne nur unzulänglich ge¬
	        
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