Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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Gassen, der steinernen starren Wucht des Tempels Salomonis: vor 
ihren Toren aber die Steinwüste Juda, mit ihren wasserlosen Schluch- 
ten und pflanzenlosen Felsrippen bis zu dem in bleierner Leblosigkeit 
daliegenden Spiegel des Toten Meeres. Es ist. als ob selbst die Natur 
sich angepaßt hätte an die so verschiedenartig wirkenden beiden Abschnitte 
im Leben C h r i st i. 
Mächtig und überwältigend ist der Eindruck, den der Beschauer 
vom Ölberg aus erhält, wenn die sinkende Sonne mit ihren letzten 
Strahlen die steilzackigen Berge Moabs jenseits des Toten Meeres noch 
einmal in leuchtendem Farbenspiel erglühen läßt. „Ist es nicht." so 
bemerkte einmal Falkenhayn, „als ob Gott selbst das Land mit 
Unfruchtbarkeit. Öde und Trostlosigkeit für alle Zeit hatte strafen wollen 
für all das schwere Leid, das es damals dem edelsten Menschensohn 
angetan hat?" 
Wieviele deutsche Feldgraue wandelten den Weg am Ölberg hinab, 
hinüber zur Stadt! Kahl und verbrannt zog sich dann zu ihren Füßen 
das Kidrontal hin. auch „das Tal Josaphat" genannt, an seinen steilen 
Wänden alte Felsengräber und jüdische Grabsteine. Denn hier erwarten 
die Juden den Anbruch des Jüngsten Tages, und wertvoll erscheint es 
ihrem Glauben, unmittelbar an der Stelle des Jüngsten Gerichtes der 
Auferstehung zu harren. Denselben Pfad beschritt Jesus vor seinem 
Einzug in Jerusalem, und heute zeigt eine Marmorinschrist die Stelle, 
— „hic stabat Jesus et flevit supra illam urbem" — wo er über die 
Stadt weinte. 
Das Innere des an die Wände des Tales sich anschmiegenden Gar- 
tens von Gethsemane mit seinen uralten Ölbäumen und schattigen 
Gängen ladet noch heute zur einsamen Rast und ernsten inneren Einkehr 
ein. Bange Sorge umfaßt an dieser geweihten Stätte den inmitten 
des Weltkrieges stehenden Menschen, trübe Gedanken umflattern den 
Sinn, den Fledermäusen gleich, die zwischen den alten Ölbäumen hin 
und wider fliegen. 
Steil steigt jenseits des meist wasserlosen Bettes des Kidronbaches 
neben dem Mariengrabe der Weg an zur Mauer der Stadt, die ich um- 
schreite, vorbei an der Stelle, wo Stephanus, der erste Märtyrer, 
gesteinigt wurde, dann betrete ich durch das dunkle, tiefgewölbte Damas- 
kustor das Innere der alten Stadt. Eine starre steinerne Antike, ver- 
mischt mit dem Schnörkelwerk mohamedanischer Architektur, umfängt 
mich; hart hallt der Schritt aus dem uralten, von unzähligen Pilgern 
glattgetretenen Plattenpflaster. Durch dunkle Gänge eile ich weiter
	        
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