Volltext: Jildirim [4] (Ban 4/1925)

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Ist es das Unglück ihrer Urväter, über das sie weinen, oder spricht die 
Vorahnung kommenden schweren Unheils aus ihren Klagen? 
Da auf allen Gemütern schwere Sorge wegen der drohenden Lage 
an der Front lastete, war es kein Wunder, daß in den wenigen freien 
Stunden, die der Dienst ließ, die Macht der Umgebung, die unmittel- 
barste Nähe der heiligen Stätten, die gegen den Feind zu verteidigen 
wir berufen waren, die tiefe Schwermut der Örtlichkeit ganz besonders 
ergreifend auf unsere Stimmung einwirkte. 
Immer wieder liest man in den Berichten der Reisenden und gläu- 
bigen Pilger von der jammervollen Enttäuschung, die sie beim Bejuche 
des Heiligen Landes und der Stätten erfuhren, an denen Jesus wirkte, 
an denen er seinen letzten Leidensweg ging. Nur zum Teil ist das zu- 
zugeben. Gewiß müssen zahlreiche Äußerlichkeiten und Vegleiterschei» 
nungen, die die Heiligkeit des Ortes überwuchert haben, auf das Gemüt 
der einzelnen widerwärtig und abstoßend einwirken. Ohne Zweifel trägt 
auch die zänkische Eifersucht der einzelnen christlichen Glaubensbekennt- 
nisse und die kleinliche, oft schmutzige Art, mit der Lateiner. Griechen, 
Armenier und Kopten vor der Krippe in Bethlehem so wenig wie vor 
Golgatha haltmachen, um die Heiligkeit den eigenen Sonderinteressen 
dienstbar zu machen, dazu bei, unser Gefühl zu verletzen und uns zu 
enttäuschen. Aber das sind Äußerlichkeiten, die wohl jeder schnell über- 
windet. Dann aber bleibt doch die geschichtliche Tatsache Sieger, deren 
Spuren auf Schritt und Tritt uns auf dem Boden des Heiligen Landes 
mit beredter Zunge zurufen: Hier ist wirklich Jesus, der größte 
Menschensohn gewandelt, hier hat er gewirkt, hier hat er den Tod er- 
litten für seine Überzeugung. Hier setzte eine andere Epoche der Mensch- 
heit ein, die der Geschichte der Welt ganz neue Bahnen wies. 
Zwei Teile Palästinas waren es. die, örtlich von einander scharf ge- 
trennt dur ch die Ebene Jesreel. den Schauplatz für die Tragödie I e f u ab- 
gaben: im Norden das fruchtbare Galiläa mit Nazareth, die Ebene Gene- 
zara und das Galiläifche Meer, hier Jerusalem und das wild zerrissene 
finstere, kahle Gebirge von Samaria und Judäa, dort die Orte, an denen 
die Kindheit und das heranwachsende Jünglingsalter des Menschensohnes 
sich in natürlich menschlicher Weise abspielte, wo er, zum Manne herange- 
wachsen, lehrte, wirkte und Wunder tat, Kapernaum, „seine Stadt". Mag- 
dala und Bethsaida, wo er an den sonnigen Ufern des Sees Genezareth 
unter der einfachen Bevölkerung der Fischer seine Jünger sich auswählte 
und als ein Kind des Landes mit ihnen, gleich ihnen lebte und wirkte. 
Hier die hochgebaute Stadt, mit dem Gewirr dunkel überwölbter, winkliger
	        
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