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Während hier im Norden der Geschützdonner die ganze Nacht hin-
durch anhält, ist es zwischen Somme und Luce unheimlich still. Ver-
wundert und mißtrauisch ob dieser ungewohnten, friedlichen Ruhe sind
dort die Feldgrauen bei Dunkelwerden aus ihren Löchern, Gräben und
Unterständen herausgestiegen, haben die lahmen Glieder gestreckt und
sich an ihre vielseitigen Arbeiten gemacht. Essenholer und Trägertrupps
schleichen hin und her, Ablösungen ziehen seind- und rückwärts, Feld-
küchen und Munitionsfahrzeugs mahlen durch den Staub der Wege.
Regungslos liegen die vordersten Posten auf der Lauer. Hin und
wieder fällt ein verlorener Gewehrschuß, sonst grollt nur das Artillerie-
feuer vom nördlichen Somme-Ufer herüber. Schon um Mitternacht
brauen sich in den Flußtälern, in den Schluchten und Mulden Nebel-
schwaden zusammen, aus denen nur die Baumkronen gespenstig heraus-
ragen; Dunst schwebt über den Höhen, alles ist noch überstrahlt von
hellem Mondlicht. Als sich im Osten die ersten Schimmer des neuen
Tages zeigen, sind Nebel und Dunst dichter geworden. Jetzt, 4»° früh,
zerreißt heftiges Artl.- und Min.Feuer vor Villers-Bretonneux die
Stille: Vorbereitung eines eigenen Patrouillenunternehmens bei der
41. Jnf.Div. Wird es nun endlich gelingen, Klarheit zu schaffen, was
diese merkwürdige Ruhe beim Gegner, der gesteigerte Verkehr, die Mo-
torengeräusche bedeuten? Auch jetzt bleibt es drüben still, die feindliche
Artillerie antwortet überhaupt nicht!
Da fetzt um vorm. mit einem Schlage auf der 32 km breiten
Front von nördlich Morlancourt bis südlich Moreuil gewaltiges feind-
liches Trommelfeuer ein. Taufende von Geschützen hämmern auf die
Inf.- und Battr.Stellungen, auf Anmarschwege und Ortschaften, auf
Lager und Gefechtsstände. Des schicksalsschweren Dramas erster Akt hat
begonnenl In den ersten Minuten ist man sich nicht klar, worum es
geht. Denn der einzelne hört nur das ununterbrochene Krachen der
berstenden Geschosse in unmittelbarer Nähe. Ob der Orkan auch über die
Nachbar-Bataillone, -Regimenter, -Divisionen niederbraust, ist nicht zu
unterscheiden. Ist's nur ein Feuerüberfall von 10,15 Minuten, wie man
ihn schon so oft erlebt hat? Ist's Vergeltung für den Angriff vom
6. August, für den Vorstoß vor Villers-Bretonneux, steht ein örtlicher
Angriff bevor oder mehr? Unaufhörlich summen die Fernsprecher, überall
dieselbe Frage: Was ist los? Immer die gleiche Antwort: Hier Trom-
melfeuer! Nichts zu sehen, nichts bekannt! Ja, sonst bei Nacht oder in
der Dämmerung, da erkennt man am Aufblitzen von Mündungsfeuer
und Aufschlägen, an den Leuchtkugeln und Blinkzeichen sehr schnell