Volltext: Loretto [17] (Band 17/1927)

24 
irgendwie an die Leidensstationen Christi, in Stein dargestellt auf dem 
Prozessionswege von seinem Heimatdorf im Allgäu bis hinauf zur Ka- 
pelle. Aber weit davon entfernt, sich zu einer so heiligen und erhabenen 
Rolle berufen zu glauben, stimmte ihn diese Vorstellung nur noch ehr- 
fürchtiger und erwartungsvoller. 
Schließlich erreichte er den Rand der Höhe. 
Ob es nun schon gegen Morgen ging oder ob die flackernde Glut 
der Fackel im Windzug hier oben heller leuchtete . . . der Gefreite Huber 
erkannte die Umrisse einer Kapelle just auf dem höchsten Punkte der 
Anhöhe und schritt geradewegs durch die Eingangstüre, als ob das eine 
reine Selbstverständlichkeit fei. 
Drinnen sah er sich, nachdem er dem Bilde der heiligen Mutter 
Gottes und dem ewigen Lichte seine ehrfürchtige Reverenz erwiesen, 
ohne jede Befangenheit um. Er sah, daß die ganze Kapelle voll war 
von Menschen, deren Gesichter alle tief vornüber geneigt waren. Ab 
und zu erhob eine der Gestalten ihr Gesicht mit einem inbrünstigen Blick 
zur Mutter Maria auf, wie zur Bekräftigung ihres sehnsüchtigen 
Flehens. 
Der Gefreite Huber, wie gesagt, sonst ein einfältiges und schlichtes 
Gemüt, verstand auf einmal die murmelnden Worte all der Knieenden, 
obwohl sie in einer fremden Zunge redeten. Er verstand, daß sie alle 
Mütter und Schwestern und Gattinnen waren, die für das Leben und 
den Sieg ihrer Söhne und Brüder und Männer beteten. Und ihm war 
auf einmal auch klar, daß es mit diesem Marienbilde eine ganz besondere 
Bewandtnis haben müsse. 
„Toi qui tiens la victoire en main, sainte Mere de Dieu ..." 
vernahm er. „Die du in deinen Händen den Sieg hältst, heilige Mutter 
Gottes." 
Und nun verstand der Gefreite Huber auch das: Die dort knieten, 
glaubten alle an das Wort, das im Lande war feit undenklichen Zeiten: 
wer die Kapelle dort oben in seinem Besitz hält, Freund oder Feind, 
ihm ist der Sieg dank der Hilfe der heiligen Mutter Gottes . . . 
Da nickte der Gefreite Huber nachdenklich vor sich hin und verließ 
leise und behutsam die Reihen der inbrünstig betenden Frauen. Hinter 
sich vernahm er immer noch das Gemurmel der Worte: 
„loi qui tiens la victoire en main, sainte Mere de Dieu ..." 
Draußen hatte sich das Firmament gefärbt. Weit schweifte der 
Blick von der Höhe hinab gegen Osten und Südosten, und der Gefreite
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.