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Wer hätte gedacht, daß die zermürbten Truppen der württem-
bergischen und sächsischen Regimenter am 24.Oktober noch genug Kraft
besessen hätten, dem Engländer einen großen Teil seiner Stellung zu
entreißen und ihm an tausend Gefangene abzunehmen?
Die beiden aneinandergelehnten Flügel der 53. und 54.Reserve-
Division erhielten Befehl, bei Tagesanbruch das Dorf Reutel und den
dahinterliegenden Polygon-Wald zu nehmen, um endlich die deutsche
Front aus dem unhaltbaren Winkel von Becelaere nach vorwärts zu
reißen. Die deutsche Artillerie bereitete den Angriff durch heftige Feuer-
Überfälle auf Dorf und Wald vor.
Punkt 7 Uhr, als der graue Morgen trübfelig über das flandrische
Feld kroch, standen das sächsische Regiment 244 und das württembergische
246 aus ihren Grabenstücken auf und drangen vor. 244 hatte sein
II. Bataillon in vorderer Linie entwickelt, das III. folgte unmittelbar
dahinter, das I. blieb in Referve. Bon den 246ern standen die vereinigte
1. und 2. Kompagnie unter Hauptmann R a i f e r und die vereinigte
3. und 4. unter Hauptmann R e i n m ö l l e r als I. Bataillon vorn,
daneben das II. Bataillon, das III. in Reserve . . .
Kaum hat die erste Bewegung begonnen, als auch schon das Schnell-
fever des wachfamen Gegners die ersten Schützen zu Boden wirft. Nach
kurzem Stocken kommt Schwung in die Bataillone. Der nervenfressende
Stillstand der letzten Tage macht sich in einem unwiderstehlichen Angriffs-
drang Luft. Heute muß es erzwungen werdenl
Mit weiten Sprüngen eilt Hauptmann Degen seiner 5. Kom¬
pagnie von den 244ern voran. Um den gezogenen Säbel sammelt sich
alles, was Beine hat. Benachbarte 246er schließen sich an. Mit tierischem
Gebrüll, das das Geschrei der Getroffenen verschlingt, wälzt sich die Flut
gegen die gespickten englischen Gräben. Hände hoch! Sie denken nicht
daran. Schießen aus allernächster Nähe die Angreifer ab wie Hafen auf
der Treibjagd. Einer nach dem anderen stürzt vornüber. Da überkommt
eine entsetzliche Wut die Stürmer. Mit Messern, Bajonetten und Gewehr-
kolben brandet die Masse gegen die zuckende Reihe der Gewehrläufe. Wer
hinschlägt, schreit den Lebenden noch einmal ein „Vorwärts" zu, ehe die
Fäuste sich ausstrecken und die Augen brechen. Schreiend ergießt sich der
Schwärm in die Gräben und auf den erstarrten Gegner. Schon blitzen
die Messer, schon schreien die Gestochenen. Schon klatschen dumpfe Schläge
der Kolben auf die Schädel nieder.
Es sind die wilden Augenblicke der Schlacht, da das Weiße in den
Augen des Menschen wie bei einem Raubtier zu glimmen beginnt. Da
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