Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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ein wundervoller, gewölbter Bogen, gebaut von den begnadetsten Kunst- 
lern und prangend in den herrlichsten Farben, die im Abendsonnenschein 
gleich geöffneten Toren des Himmels leuchten — und dieser Bogen liegt 
auf zwei sammetbehangenen Säulen, deren eine in meinem Herzen und 
deren andere in deinem Herzen ruht. Und jetzt, wo die Sonne untergeht, 
ist die eine Säule geborsten. Wie soll dann der Bogen weiter sich wölben? 
Siehe, die Nacht kommt schon herauf aus kühlen Tälern, und die ersten 
Sterne erglimmen am Firmament . . . 
Ich klammere mich an das, wie es geschehen ist. Ich sehe, wie du, 
neben mir liegend im Gras, auf einmal meinen Arm greifst mit dem 
krampfigen Griff eines Ertrinkenden. Ich blicke in deine Augen, in denen 
das ganze fürchterliche Rätsel des Jenseits mit plötzlicher Verzweiflung 
sich offenbart. Wie die ohnmächtige Erkenntnis des Sterbenmüssens dich 
überfällt, daß alle Schmerzen in deiner Brust nur wie eine unscheinbare, 
kaum gespürte Nebenwirkung dir erscheinen neben der einen furchtbaren 
Tatsache der Trennung. Was sollte ich anders tun, als meine Arme um 
dich legen und in deine Augen schauen, bis sie allmählich jenen stumpfen 
Glanz gewannen, der den Tod anzeigt? 
Nein, noch kann ich es ja nicht im geringsten ermessen, was uns 
geschehen ist. Noch ist ja mein Schmerz um dich nur eine angstvolle 
Ahnung der Wirklichkeit. Noch steht mir ja alles bevor. Das beste wäre 
schon, ich wäre an deiner Seite geblieben . . . 
Ich höre dein munteres Lachen an hundert Sommerabenden . . . und 
es schnürt mir die Kehle zu. Ich vernehme dein ernstes Gespräch über den 
Tod, dem du mit klarem Geist schon zu Lebzeiten alle Schrecknisse ab- 
genommen . . . und wenn ich an die Verzweiflung in deinen Augen in 
jener Stunde denke, dann scheint mir alles ein Betrug. Nein, du hattest 
den Tod nicht besiegt, er hat dich betrogen . . . betrogen sind wir alle 
beide! Ich sehe dich einherschreiten in der Kolonne, zwei Glieder vor mir, 
den Blick geradeaus gerichtet, wie in der Erwartung einer großen Feier- 
stunde und eines heiligen Festes. Wo ist denn das Heilige, wo ist die 
Feierstunde? Du bist ganz einfach tot . . . und in jener Minute, in der 
du den Tod erkanntest, erstarrtest du vor seiner Grimasse, und in dir 
schrie es: „Zurück, zurück!" Aber der Tod sagte: „Vorwärts!" und stieß 
dich hinab in den Abgrund ... 
Ich hatt' einen Kameraden . . < 
Vielleicht später einmal, viel später, werde ich erkennen, daß dein 
Tod nur ein Übergang war, ein Übergang in einen wunderbaren Raum,
	        
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