Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

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vergrößert die Gefahrmomente ins Unendliche, die von der Tages- 
anstrengung ermatteten Nerven geraten in einen Zustand der über- 
reizung, der der beste Nährboden der Panikstimmung ist. Gerüchte 
schwirren, Mißtrauen schleicht umher, das Auge sieht den Führer nicht, 
und die Waffe findet kein Ziel. Und wenn die Anforderungen des 
nächsten Tages herantreten, finden sie eine übernächtige, zermürbte 
Truppe, die ihrer eigenen Stärke mißtraut. 
Häufig lagen deutsche Sturmabteilungen im Angriff vor Wald- 
rändern. Entsprechend den Paragraphen des Exerzierreglements ließen 
die Schützen fein säuberlich den unteren Waldrand aufsitzen und erstaunten 
über die geringe Wirkung ihres Feuers. Wenn endlich unter schweren 
Verlusten die ersten Baumreihen erkämpft waren, wurde festgestellt, daß 
der Gegner sich in den Baumkronen eingenistet hatte und aus dem Laub- 
dach seine wohlgezielten Kugeln mit auf die Äste aufgelegtem Gewehr 
abfeuerte. Sogar Maschinengewehre wurden dort oben eingebaut. Die 
Baumstützen ruhten nicht eher, bis die erbitterten Angreifer sie einzeln 
aus den Ästen herabgeschossen. So fanden die Engländer täglich neue 
taktische Mittel, die Deutschen aufzuhalten, zu beunruhigen, ihnen Ver- 
luste beizubringen, die Führung zu beeinträchtigen. Jede neue Erfahrung 
kostete die Angreifer Ströme von Blut . . . 
An anderer Stelle ist schon über die Beschaffenheit des Kampf- 
geländes gesprochen worden, das den Verteidigern alle Vorteile, den 
Angreifern eine Summe gewaltiger Erschwerungen darbot. Der Kriegs- 
erfahrung des Gegners, dem taktischen Geschick der Engländer und dem 
fanatischen Verteidigungswillen der um den letzten Fleck ihres Heimat- 
bodens ringenden Belgier hatten die deutschen Freiwilligen nichts ent- 
gegenzustellen als eine heroische Opferbereitschaft und einen unvergleich- 
lichen Willen zum Sieg. Die Mängel der Ausbildung machten sich an 
allen Ecken und Enden bemerkbar. Der übermenschliche Grad jugend- 
licher Begeisterung und das Gefühl, daß die Augen ganz Deutschlands 
auf seinen jungen Söhnen ruhten, die Verwachsenheit mit der Heimat 
und die im Blut liegende hohe Auffassung vom Soldatenberuf halfen die 
fürchterlichsten Nackenschläge überwinden und befähigten die durch ein 
mehrwöchiges Blutbad gegangenen Truppen noch in der Mitte des 
Novembers zu jenen denkwürdigen Massenstürmen, in denen die Scharen 
der Todgeweihten hinjauchzten in den Streit gleich den Söhnen der 
Antike. Niemals ist das starre Gesicht des Todes heiliger gewesen denn 
damals, als die flandrischen Kanäle sich rot färbten vom Blut und als 
sich hinter den Hecken die Leichen der Erschlagenen auftürmten zu Hügeln.
	        
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