Volltext: Ypern 1914 [10] (Band 10/1925)

106 
klammerten sich die Truppen an das Gelände, die stets neue Tricks 
erfand und nachts überraschend durch einen Handstreich zurücknahm, 
was tagsüber die deutschen Freiwilligen mit Hekatomben von Menschen- 
leben gewonnen. Sportsgeist und Jägerinstinkte schufen Voraussetzungen 
für das Gefecht, die kein opferbereiter Idealismus aufzuwiegen vermochte. 
Oft lagen die deutschen Sturmtruppen stundenlang vor einem vermeint- 
lichen englischen Graben und entdeckten beim Sturmangriff, daß er nur 
aus einer Reihe ausgehobener Grabenstücke bestand, die mit Rüben- 
köpfen garniert war. In die Verwirrung, die jedem Angriff folgt, 
prasselte dann das Feuer aus dem dahinterliegenden richtigen Graben. 
Jede englische Stellung war unter dem Gesichtspunkt des Verteidigungs- 
gefechts angelegt und sah alle Möglichkeiten des gedeckten Rückzuges und 
der schweren Schädigung des vordringenden Gegners voraus. Schulter- 
wehren, Flankendeckungen, Unterstände, Brustwehren waren Angelegen- 
Helten, die in der deutschen Truppenausbildung als ein notwendiges 
Übel mit sichtlichem Unbehagen gestreift wurden, die aber dem Engländer 
vertraut waren wie das tägliche Brot. Die taktische Überlegung und der 
Grundsatz: „Wie schade ich dem Gegner am meisten in jeder Phase des 
Gefechts," stand oben an, während der Deutsche dem Grundsatz huldigte: 
„Welches ist der kürzeste Weg zum Erreichen des Angriffszieles." Roch 
im Augenblick der Niederlage verließ den Engländer das Gefühl des 
spitzfindigen Menschenverstandes nicht. Die deutschen Angreifer erstaunten 
oft über die große Zahl von Toten in den englischen Gräben, bis sie 
entdeckten, daß diese Toten zum großen Teil noch sehr beweglich waren. 
War der Engländer einmal gefangen und sah er die Unabänderlichkeit 
seines Schicksals ein, so fand er sich sehr schnell in die neue Lage und seine 
einzige Sorge war, nicht in Berührung mit seinen gefangenen Bundes- 
genossen zu gelangen, die er im Grunde seines Herzens für Geschöpfe 
minderer Art hielt. Der Krieg war für ihn mit dem Augenblick der 
praktischen Unmöglichkeit beendet und beschwerte fortan weder sein 
Gewissen noch sein Gemüt. 
Zwei besondere taktische Spezialitäten der Engländer seien noch 
erwähnt. Während der deutsche Soldat nur zu schießen gewohnt war, 
wenn er ein Ziel sah, wandte der Engländer bei nächtlicher Dunkelheit ein 
Verfahren indirekten Gewehrfeuers an, das unseren Regimentern außer- 
ordentlich zu schaffen machte. Weniger durch die praktischen Ergebnisse, 
die minimal waren, als durch die Beanspruchung der Nerven. Nichts ist 
für eine Truppe, deren Ausbildung unter Mangel an Zeit und Material 
gelitten, gefährlicher als der nächtliche Feuerüberfall. Die Dunkelheit
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.