Volltext: Der josefinische Klostersturm im Land ob der Enns

290 
70. Chorgebet. 
Unter den großen wirtschaftlichen Maßnahmen gegen die Stifte, die deren 
Existenz angriffen oder bedrohten, erscheint (aber war nicht) unbedeutend eine das 
geistige Leben im Kloster berührende Verfügung des Kaisers, die durch die 
weitere Verfügung des bischöflichen Konsistoriums noch einschneidender wurde. 
Eine kaiserliche Resolution vom 21. August 1786 ordnet an Stelle des 
der Gesundheit öfters nachteiligen schreienden Chorgesanges bei den Stiften 
und Klöstern an die Einführung eines mäßigen Gesanges oder ein lautes Beten. 
In Durchführung dieser Resolution bestimmte das Konsistorium unter 
dem 30. Oktober 1786: 1. der ganze Chor soll laut und vernehmlich gebetet 
werden; 2. nur die Mette und Laudes am Weihnachtsfest und das matutinum 
tenebrarum in der Karwoche, ferner an Festtagen primae classis die laudes 
a capitulo und die vesperae a capitulo sind zu singen im gemäßigten Ton 
und mit gehöriger Begleitung der Orgel; 3. die Mette darf nicht mehr zur 
Nachtzeit gehalten werden; 4. die gewöhnlichen Choralämter sind in Konvent- 
messen umzuwandeln, welchen alle andächtig beizuwohnen haben, gestiftete 
Choralämter mögen noch ferners abgehalten werden; 5. Dispens vom 
Chorgebet bleibt fortbestehen, nur die Mette am Weihnachtstag und die rnatutina 
tenebrarum müssen gehalten werden. 
 
71. Josef II. in Linz. 
Am 7. Oktober 5 Uhr nachmittags kam der Kaiser nach Linz. Der 
Besuch brachte manche bittere Folge. Die Liebe zwischen Kaiser und Volk war 
nicht geendet, aber geändert? hatte sich nicht doch schon etwas zwischen beide 
geschoben? Enttäuschungen! Der „Schätzer der Menschheit“ hatte die Menschen, 
sich und die anderen zu hoch geschätzt; er hatte auch zu gering geschätzt: das 
Gute und Böse im Menschen, die Pietät und die Schwachheiten der Menschen. 
Er hatte viel zu viel mit ideellen Größen gerechnet und viel zu wenig mit 
- Zahlen! Bei den früheren, bei den ersten Reisen mochte er über seinen 
Landen die Fata Morgana eines romantischen Glückes der von ihm beherrschten 
Völker geschaut haben: jetzt schaute er mehr Wirklichkeiten und manche  
 reizte ihn zu letzten Versuchen diktatorisch zu schaffen, was er für 
Recht und Glück hielt. 
Am Sonntag 8. Oktober nach Anhörung einer hl. Messe im Dom besuchte der 
Kaiser die Anstalten in der Stadt, auch alle Klöster. Aber sein Besuchen hatte nichts 
freundliches: es war nicht der Besuch eines Monarchen, sondern eines Inspektors. Der 
Besuch war überall von kurzer Dauer; der Edelsinn des Kaisers wollte es vermeiden 
Hulderweise und Anerkennungen zu spenden, welche denen wehe tun konnten, die durch 
seine Verfügungen schon hart betroffen worden waren, oder welche Hoffnungen und Bitten 
hätten auslösen können bei denen, die sich von ihm bedroht fühlten; er wollte nicht 
Huldigungen veranlassen, aus denen seine Güte hätte Klagen herausgefühlt, für die er keinen 
Trost hatte.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.