Volltext: Aus Österreichs Höhe und Niedergang

Diesen Gegensatz erkannte die Anklage sichtlich erst während der 
Schlußverhandlung oder mindestens unmittelbar davor, und sie be 
schloß mit allen Mitteln zu retten, was für sie noch zu retten war. 
Und so änderte sie am Abend des ersten Verhandlungstages die An 
klage noch einmal. Also zum drittenmal. Jetzt supponierte sie ebenso 
einfach als kühn, daß jene Karte gar nicht am n. November, son 
dern am 18. November geschrieben worden war, demnach zu einer 
Zeit, wo schon weitere vorbereitende Maßnahmen, speziell bei den 
Nordkorps, beantragt worden waren. Daß jene Karte in dem zuge 
hörigen Kuvert steckte, das den Poststempel vom 12.November 
trug, ein Kuvert vom 17., 18. oder 19. aber gar nicht vorhanden 
war, schien die Anklage weiter nicht anzufechten. 
So endete der erste Verhandlungstag. 
Am zweiten Tage wurde seitens der Verteidigung das Unzulässige 
der eben geschilderten willkürlichen Umänderung überzeugend nach 
gewiesen, dann erfolgte die Zeugeneinvernahme, die aber nichts We 
sentliches erbrachte. Auch die Darlegung der Sachverständigen wurde 
verlesen. Solche bot die Anklage zum Staunen aller juristischen Fach 
männer auch bei der Schlußverhandlung auf. Wie erwähnt, waren 
es zwei hohe Offiziere des Generalstabes, wenngleich sich’s im Prozeß 
um keine einzige militärische Fachfrage handelte, und über 
dies das Richterkollegium aus ranghöchsten Generalen zusammen 
gesetzt war. Aus diesen Gründen konnten die Ansichten dieser Sach 
verständigen auch nur geringes Interesse finden. 
Der objektive Tatbestand der Anklage war, trotz auf gebotener 
Zeugen und Sachverständigen, in sich zusammengebrochen. Nichts 
destoweniger erschöpfte sich die Anklage in einem langatmigen, aber 
halt- und effektlosen Plädoyer. So furchtbar ernst die Situation auch 
war, stand mir doch fast ein Fächeln nahe, als der Klageanwalt seinem 
zerschmetternden Strafantrag meine ,,bisherige Unbescholtenheit und 
lange, verdienstvolle Dienstzeit'* als Milderungsgrund entgegenstellte ! 
Dr. Preßburger 1 ) hielt mit sonorer Stimme eine seiner wirkungs 
kräftigsten, überzeugenden und von warmem Empfinden getragenen 
V erteidigungsreden. 
Dann kam ich. Der tragische Moment zwang mich nicht nieder. 
Mit Festigkeit konnte ich sprechen, konnte mutig und ehrlich, ohne 
Scheu und ohne Bitte alles sagen, was mir im bittern Herzen und 
im tief verwundeten Sinne saß, und fand bei allen, die ein ehrliches 
Gefühl hatten, Verständnis und Widerhall. 
1 ) Im Sommer 1919 veröffentlichte Dr. Preßburger in der ,,Neuen Freien 
Presse“ zwei Artikel, die den Verlauf des Prozesses, namentlich vom juridischen 
Standpunkte aus, prägnant beleuchteten.
	        
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