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Bei uns hat er gefußt, aus unserem Boden Nahrung ge¬
sogen für sein künstlerisches Schaffen, bei uns hat er sein müdes
Haupt zur Ruhe gelegt, bei uns die letzte Ruhestätte gefunden.
Dennoch können wir nicht von ihm wie von manch anderen
sagen, daß er nur ein oberösterreichischer Dichter gewesen sei.
Stifters Kunstschöpfungen haben eine Bedeutung gewonnen, die
seinen Namen wie den eines Grillparzer, Lenau und Grün weit
hinausgetragen haben über die Grenzen des engeren Vaterlandes.
Stifter kennt, liest und liebt man ebenso an den Sturmfluten der
Nordsee wie in den tiefsten Winkeln der Alpen und am Sonnen¬
gestade der Adria.
Ausgerüstet mit ungewöhnlicher Feinheit der Beobachtung, tiefer
Gemütsbildnng und seltenem Verständnisse für die Erscheinungen der
Natur und des Seelenlebens, verstand es Stifter — wie wenige
— den Stimmen der Natur zu lauschen, deren tiefgeheimnisvolles
Leben zu ergründen und ihren Zauber mit reiner Empfindung in
sich aufzunehmen und mit der ihm eigentümlichen Ruhe und liebe¬
vollen Heiterkeit im dichterischen Geiste umzugestalten.
Und wie seine Seele für Natureindrücke überaus empfänglich
war, so erfaßte er die in seine Erzählungen und Schilderungen ver¬
flochtenen Personen mit psychologischer Wahrheit und Klarheit; aus
der Tiefe der menschlichen Seele gewann er jene Gestalten, die er
in voller Treue wiederzugeben und mit den sie umgebenden Natur¬
verhältnissen in Zusammenhang zu bringen wußte.
Aus seinen poetischen Schöpfungen heimelt uns, wie bei jedem
echten Dichter, seine Persönlichkeit entgegen; es ist die Persönlichkeit
des guten, echten Altösterreichers, der mit ganzem Herzen an seinem
Vaterlande hing und mit dessen Wohl und Wehe den anfrichtigsten
und innigsten Anteil nahm. Vor allem aber hing Adalbert Stifter
an unserem herrlichen Oberösterreich. Hier weilte er gern als Gast
seines Bruders in Linz, über dessen majestätischen Strom er hin¬
überblicken konnte nach den geliebten waldgrünen Höhen des Mühl¬
viertler Landes mit seinem späteren Tuskulum Kirchschlag.
Wie sehr ihn der Aufenthalt in unserer Landeshauptstadt an¬
mutete, das entnehmen wir einem Briefe an seinen Freund Josef
Türk in Wien, ddo. Linz, 4. August 1846: „Mitten in der schön¬
sten Natur lebend," schreibt Stifter, „bin ich sehr heiter und froh
und wünschte nichts sehnlicher, als Euch beide einmal da zu haben,