Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

der königl. Kammerräte und ohne Entscheidung des 
Königs zu unternehmen. 
Es kam dann für S. das böse Jahr 1540. Die Eger 
hatte einen Großteil der Vorstadthäuser mitgenom¬ 
men — wieweit auch Judenhäuser weggespült wur¬ 
den, steht nirgends verzeichnet —, die Bevölkerung 
wartet nur auf das geringste Zeichen, um über ihre 
jüdischen (Mitbewohner herzufallen. Jörg Augustin) 
soll zum Bürgermeister gewählt werden und entzieht 
sich der Wahl nur durch rasche Abreise. Seuchen 
und Heuschrecken zehren außerdem am Wohlstand 
der Bevölkerung. 
Am 13. November 1541 kam es zu einem furcht¬ 
baren Blutbade, daß die jedenfalls am Sonntag alko¬ 
holisierte Menge unter den Juden in S. anrichtete. 
Aus der Chronik eines Prager Prämonstratensers, 
namens Sudik (Annales 1527—1725), erfahren wir 
darüber folgendes: Ein Viertelhauptmann, seines 
Zeichens ein wohlbestallter Weißgerber, dem als 
Offizier der Bürgerwache das Judenviertel (Ghetto) 
zur Bewachung zugeteilt war, der Name des Ehren¬ 
mannes ist Johann Pedal, hat sein Viertel umgegan¬ 
gen und im Namen des Bürgermeisters dann den 
Bürgern „angedeutetsie sollen die Juden über¬ 
fallen, plündern und wegjagen, was natürlich seine 
eigene Erfindung war. Er und Johann Straka, ein 
Kürschner, der sich dann gegen den Stadtrichter 
Kucera stellte, wurden von dem Stadtrat als Rädels¬ 
führer des Mordens bezeichnet. Wie weit in dieser 
Anzeige bei den Stadtherren die Absicht eine Rolle 
spielte, sich von zwei unbeliebten Elementen zu be¬ 
freien, läßt sich heute nicht mehr überprüfen. Als 
Hauptbeteiligte des Auf standes kommen Kleinbürger, 
Handwerker und Gesellen in Betracht, zu welchen 
einige cechische Schriftsteller wie Winter, Rybicka, 
Emier u. a., auch Bewohner vom Lande, als Mittäter 
hinzufügen. Die Quellen beschreiben genau, wie die 
Juden aus den Betten in Hemden auf die Gasse ge¬ 
trieben wurden, wie sie erschlagen wurden, wie ihr 
Hab und Gut an die Plünderer aufgeteilt oder ver¬ 
nichtet wurde. Interessant ist, daß dabei eine Quelle 
die Behausungen der Juden als „außerhalb der 
Stadt" liegend bezeichnet. 
Als der König von dem Blutbad Kenntnis erhielt, 
ließ er sofort alle 24, nach anderen Quellen 30 Rats¬ 
herren samt dem Bürgermeister Magister Nikolaus 
Czernobyl nach Prag kommen, um sie zur Rechen¬ 
schaft zu ziehen. Sie wurden alle in die Dali- 
borka gesperrt. Sie stellten dann Bürgen, wurden 
nach Hause gelassen und nur die vorgenannten bei¬ 
den Bürger wurden dem Scharfrichter übergeben. Die 
Stadt wurde verurteilt, sofort 4000 rheinische Gulden 
als Schadensgutmachung an den König zu zahlen, 
weiters alles das, was geplündert und geraubt worden 
war, den Geschädigten zurückzugeben. 
Am 15. Juni 1543 erließ Kaiser Ferdinand einen 
Gnadenbrief, kraft welchem er der Stadt S. eäne 
allgemeine Verzeihung wegen der Ausschreitungen 
gegen die Juden angedeihen läßt und ihnen zugesteht, 
daß fortan keine Juden mehr in der Stadt wohnen sollten. 
In der Zwischenzeit hören wir immer wieder von 
Saazer Juden, die vom Auslande her klagen und An¬ 
sprüche erhoben auf das seinerzeitige kgl. Urteil, das 
die Saazer verpflichtete, den Schaden gutzumachen. 
Sogar einige königl. Handschreiben erfließen in die¬ 
ser Angelegenheit, da aber die Sanktion fehlt, sind 
sie wohl alle vergebens. 
Im J. 1584 erschien dann der Erlaß Kaiser Ru¬ 
dolfs II., der den Juden den Zutritt zu den Märk¬ 
ten S., Leitmeritz und Laun wieder gestattete. 
1637 gab Kaiser Ferdinand III. den Saazern die 
seinerzeit genommenen Privilegien zurück, gleich¬ 
zeitig erschien ein strenges kaiserliches Reskript, daß 
den Juden in S. nicht einmal mehr das Übernachten 
gestattete. 1650 beschloß schließlich der böhmische 
Landtag, daß diejenigen Städte, in denen am 1. Jän¬ 
ner 1618 kein Jude gewohnt hat, beziehungsweise 
welche das Privilegium haben, Juden in ihrer Stadt 
nicht zu dulden, für alle Zeiten judenrein zu bleiben 
haben. In diesem Zustand befanden sich damals 
30 Städte Böhmens, unter ihnen auch S. Mit diesem 
Landtagsbeschluß endete die ältere Geschichte der 
Juden in S. 
* 
Erst in den Jahren 1848 bis 1850 zogen einzelne 
jüdische Familien aus den umliegenden Dörfern nach 
S. und im J. 1851 gab es hier schon die ersten zwei 
jüdischen Hausbesitzer; Seligman Wolf aus 
Milloschitz hat das Haus Nr. 179 in der Langen Gasse 
und Josef Herschmann aus Horschenz das Haus 
Nr. 16 in der Rösselgasse käuflich erworben. Da fiel 
es dem damaligen Stadtrat ein, sich auf das Reskript 
Ferdinands III. aus dem J. 1637 zu berufen und an 
die Juden den strikten Auftrag zu richten, die Stadt 
zu verlassen. Ein Gesuch an den damaligen Statt¬ 
halter bewirkte, daß der Befehl aufgehoben wer¬ 
den mußte. Als die ersten jüdischen Ansiedler nach 
dem J. 1848 werden Joachim L e d e r e r als Lie¬ 
ferant für Proviant und Fourage des in S. stationier¬ 
ten Kavallerieregimentes und Josef Lustig als 
Pächter der ärarischen Mauten angeführt. Die Zahl 
der in S. ansässigen oder daselbst wohnenden Juden 
hat um das J. 1860 die Höhe von etwa 800 erreicht, 
doch war der Sitz der K. G., das Gotteshaus und die 
Matrikenführung bis zum J. 1864 nicht in S., son¬ 
dern in der Muttergemeinde 
LIEBOTSCHAN (c. LIBOCANY), 
4 km von S. entfernt, und diese selbst gehörte zum 
Rabbinate in Postelberg, 10 km von S. entfernt. Die 
Liebotschaner Matrik wurde seit dem J. 1827, in dem 
hiezu gehörenden Neusattl seit 1800 geführt. Im 
J. 1864 wurde Sitz und Verwaltung der K. G. nach 
S. überführt, die Synagoge in Liebotschan aufgelassen 
und das Haus Nr. 638 in der Prager Gasse käuflich 
erworben, wo sich bereits einige Jahre der proviso¬ 
rische Betsaal befunden hatte, in denselben wurden 
nun die rituellen Einrichtungen der Liebotschaner 
Synagoge übertragen. Über die Entstehung der jetzi¬ 
gen Saazer K. G. berichtet ein Protokoll, aufgenom¬ 
men am 20. März 1864 unter dem Vorsitze des Vor¬ 
stehers Joachim Lederer im Hause Nr. 638 
in S. Anwesend: „Die gefertigten Mitglieder der ver¬ 
einigten K. G. Saaz-.Liebotschan. Am 15. März 1863 
wurde von sämtlichen in Liebotschan, Neusattl Dehl- 
au und S. wohnenden Mitgliedern der K. G. Liebot¬ 
schan der Beschluß gefaßt, die in Liebotschan be¬ 
stehende Synagoge aufzulassen und nach S. in ein 
anzukaufendes Haus zu übertragen. Infolge dieses 
Beschlusses wurde das Haus Nr. 638 in S. angekauft 
und mit dem Vermögen der Liebotschaner K. G., und 
dem Erlöse mehrerer an Gemeindemitglieder ver¬ 
kauften Sitze bereits eine Abschlagszahlung von 
7000 fl. ö. W. geleistet. Da nun der K. G. die Be¬ 
willigung zur Übertragung der zu Liebotschan be¬ 
stehenden Synagoge in ihr Saazer Haus Nr. 638 laut 
k. k. Statthaltereierlasses vom 8. Oktober 1863, 
Z. 55.211, und k. k. bezirksämtlicher Verständigung 
vom 26. Oktober 1863, Z. 4329 erteilt wurde und in 
dem Hause Nr. 638 die Einrichtung eines Betlokales 
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