Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Geschichte der Juden in Reichenberg. 
Bearbeitet von 
Prof. Dr. Emil Hofmann, Rabbiner in Reichenberg. 
Oie Geschichte der Juden in Reichenberg umfaßt 
einen Zeitraum von mehr als 3 0 0 Jahren. Sie 
weist einen eigenartigen Charakter auf. Nicht etwa, 
als oh es an typischen Zügen fehlen würde. Wohl 
wiederholt sich da im kleinen, was anderswo, in vie¬ 
len anderen Städten, in größerem Maße sich ereig¬ 
nete, namentlich das wechselvolle Schicksal und, die 
Unsicherheit der Rechtsstellung. Aber es war bis zur 
Gründung der Kultusgemeinde keine organisierte Ge¬ 
meinschaft. Vor allem war die Seelenzahl eine ge¬ 
ringe. Wohl wurde der Zuzug jüdischer Einwanderer 
seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer 
größer, insbesondere als infolge der gewerbefreund¬ 
lichen Verfügungen Maria Theresias und nach dem 
Einfuhrverbote Josefs IL vom J. 1784 das Tuchma¬ 
chergewerbe in R. aufblühte. Nicht nur aus Böhmen, 
wie Jungbunzlau, Neubidschow, Polna und anderen 
Städten, sondern auch aus Mähren, besonders aus 
Trebitsch und Pirnitz, nahmen jüd. Händler ihren 
Wohnsitz in R. Sie kamen erst allein, später aber 
ließen sie zum Teil auch ihre Familien nachkommen. 
Aber selbst im J. 1810, als die Juden in R. eine 
Höchstzahl aufwiesen, durften die jüd. Bewohner 
wohl kaum 100 Personen gezählt haben. Freilich be¬ 
standen anderswo auch Gemeinden mit noch gerin¬ 
gerer Seelenzahl. Aber in R., wo sie während der 
längsten Zeit nur zeitweiligen Aufenthalt nehmen 
durften, war ihnen infolgedessen auch die Bildung 
einer Gemeinde, insbesondere die Anlegung eines 
Friedhofes, verwehrt. Die letzte Reichenherger Herr¬ 
schaft hatte keine Schutzjuden, führte keine Familien¬ 
nummern ein und erteilte auch nicht die üblichen Kon¬ 
sense. Deshalb fehlen in den Familiantenbüchern 
und in den Konsignationslisten die Namen Reichen- 
berger Juden. Sie wurden in die Statistik von ihren 
Heimatsgemeinden aufgenommen. Dies schließt aber 
nicht aus, daß sie in R., wenn zumeist auch nur nicht 
dauernd, ihr Zelt aufschlugen. Es ist weniger die Ge¬ 
schichte einer Gemeinde, als die Geschichte einer 
jüd. Handelskolonie. Ihre Bedeutung lag vor¬ 
zugsweise auf wirtschaftlichem Gebiete. Der Gegen¬ 
satz zwischen dieser wirtschaftlichen Bedeutung und 
der Verfehmung seitens der Behörden und Körper¬ 
schaften war ziemlich groß. Aber trotz aller Be¬ 
schränkungen sprengte die Lebensnotwendigkeit der 
wirtschaftlichen Betätigung den gesetzlichen Rahmen. 
Die Bedürfnisse des heimischen Gewerbes machte 
diese Stadt zu einem Treffpunkt auswärtiger Juden» 
In der Geschichte der Juden in R. können wir 
drei Epochen unterscheiden. Die erste ist die Zeit 
der Ansässigkeit, die ungefähr sechs Jahrzehnte 
währte. Die zweite dauerte über zwei Jahrhun¬ 
derte und wird gekennzeichnet durch das gesetzliche 
Verbot der Niederlassung, das aber nicht hinderte, 
daß Juden auch während dieses Zeitraumes in R. ge¬ 
wohnt haben. Die dritte Epoche datiert seit dem 
J. 1860, der gesetzlichen Gleichberechtigung. 
Die Freiherren von Biberstein. 
Ein Reichenberger Chronist, P. Karl Felgen¬ 
hauer, Pfarrer von Christofsgrund, der von großem 
Wohlwollen für die Juden erfüllt war, berichtet in 
seiner im J. 1812 vollendeten Geschichte, die zwar 
nur handschriftlich vorhanden, aber dennoch sehr 
verbreitet ist: „Zur Zeit des Ulrich Freiherr v. Biber¬ 
stein herrschte im J. 1495 große Hungersnot. Drei 
Familien, die sich unter dem Jeschken ernährten, ver¬ 
loren sich, ohne von ihnen, etwas zu erfahren. Andere 
kamen zu uns und bauten sich Häuser, unter denen 
sich auch 18 Juden befanden1).'' Da Felgenhauers 
Werk von Irrtümern wimmelt und der Autor mit 
Vorliebe vieles hinaufdatiert und allzu früh ansetzt, 
ist seinen Angaben gegenüber Vorsicht und Kritik 
geboten. Zwar wäre die Annahme, Juden hätten sich 
schon unter diesem Adelsgeschlecht, dessen Fried¬ 
länder, wie auch Forster Linie eine große Macht be¬ 
saß, wenn auch erst in der Spätzeit ihrer Herrschaft., 
in R. niedergelassen, durchaus nicht von vornherein 
von der Hand zu weisen. Wohl erhielt diese Stadt 
erst seit dem 16. Jht. durch das allmählige Aufblühen 
des Gewerbelebens ihre Bedeutung, wird doch R. noch 
im J. 1454 in einem Lehnbrief ein Städtchen zu 
„Hammerstein44 genannt, so galt doch schon ein Jht. 
vorher in der Rivalität der beiden Städte Görlitz und 
Zittau die Reichenberger Handelsstraße als wichtiger 
Durchgangspunkt für den Verkehr. Wiederholte Ver¬ 
bote zugunsten anderer Straßen sind ein sprechender 
Beweis, daß der über R. führende Weg sich einer leb¬ 
haften Frequenz erfreut haben mußte. Da also R. 
an einer Handelsstraße lag, wäre es ja verständlich, 
wenn Juden sich dort frühzeitig niedergelassen 
hätten. 
Die Einstellung der einzelnen Mitglieder des Biber- 
steinschen Hauses den Juden gegenüber war keine 
einheitliche. Freilich, der letzte Reichenberger Grund¬ 
herr dieses Geschlechtes, Joachim II., verhielt sich 
ablehnend, ja feindselig. Auf dem böhmischen Land¬ 
tage, wo er am 4. Mai 1542 als Berichterstatter aus 
dem Herrenstande fungierte, befürwortete er nach¬ 
stehende Entschließung. „Item, was die Juden an¬ 
belangt, welche vom vorherigen Landtag von S. M. K. 
auf Ansuchen aller drei Stände aus dem Königreich 
Böhmen ausgewiesen wurden und das laut anderen 
Artikeln des Landtages in die Landesbücher einge¬ 
schrieben werden sollte, S. M. K. dabei verbleiben 
will, so daß keine Juden aufgenommen werden und 
das auf künftige ewige Zeiten. Und falls irgend ein 
Jude in diesem Königreich unter wem immer aufge¬ 
funden würde, daß dieser am Halse bestraft werde, 
außer denen, welche von S. M. dem König bis zum 
Heil. Georg zuerst das Geleit erhalten und haben diese 
besonders verzeichnet und allen gemeldet und allen 
angezeigt zu werden und das wegen Einmahnung von 
Schulden und auch wegen Bezahlung, wenn sie je¬ 
mandem schuldig sind. Und diese Juden sind schul- 
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Reichenberg 1
	        
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