Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Geschichte der Juden in Leitmeritz. 
Bearbeitet von 
Stadtarchivar Heinrich Ankert, Leitmeritz. 
Der älteste böhmische Chronist, Cosmas, dessen Ge¬ 
schichte allerdings mit Vorsicht aufzunehmen ist, be¬ 
richtet uns, daß die Tschechen die Mitte Böhmens 
bewohnt haben, während die Nachbarn im Norden, 
die Lutomericii, an der Elbe gewesen sein sollen. Die 
Burg und der Vorort des Gaues der letzteren lag auf 
dem sanft ansteigenden Hügel, der jetzt die Residenz 
der Leitmeritzer Bischöfe trägt. Dort oben erbaute 
um 1057 der böhmische Herzog Spitignew II. an Stelle 
eines schon länger gestandenen Kirchleins ein steiner¬ 
nes Gotteshaus zu Ehren des hl. Stephan und grün¬ 
dete bei demselben ein Kollegiatkapitel. Der Kirche 
sollten die Einkünfte aus den derselben geschenkten 
Dörfer und Bauernhöfe, weiter die Zölle und Abgaben 
von dien Märkten zufließen, welch letztere auch die 
Juden zu zahlen verpflichtet waren, welche in der 
Stiftungsurkunde als Wein- und Salzhändler 
bezeichnet erscheinen. 
In der Nähe der Burg und des Stiftes siedelten sich 
im Laufe der Jahre nach und nach nebst Einheimi¬ 
schen zahlreiche aus Deutschland herbeigekommene 
Bürger an und legten so den Grund zur eigentlichen 
Stadt L. Die Gründung der Stadt, die im schönsten 
Teile des gottgesegneten böhmischen Paradieses, auf 
mehreren mäßigen Anhöhen auf dem rechten Elbeufer 
liegt, erfolgte um das J. 1230. Die neuen Bewohner 
kamen als freie Männer in die junge Stadt und brach¬ 
ten deutsches Recht, deutsches Gewerbewesen und 
deutsche Sitte aus ihrer Heimat in dieselbe mit. 
Es kann wohl als sicher angenommen werden, daß 
es in Leitmeritz (c. Litomërice) bereits vor der Grün¬ 
dung der Stadt*) Juden gab. Denn unterhalb der 
alten Gauburg bestand ein Markt, auf welchem aus 
dem Innerböhmen Waren gebracht wurden, diie dann 
auf der Elbe weiter abwärts verfrachtet wurden. Da 
der Handel Böhmens nachgewiesenermaßen damals 
größtenteils in den Händen der Juden lag, so dürften 
sich auch jüdische Kaufleute am Leitmeritzer Markte, 
der an der Elbe gelegen war, niedergelassen haben. 
Und als dann die Stadt gegründet wurde, zogen un¬ 
zweifelhaft auch die jüdischen Kaufleute in dieselbe 
ein. 
Eine Urkunde über die Gründung der Leitme¬ 
ritzer Judengemeinde ist nicht vorhanden. 
Doch steht es fest, daß sich schon vor dem Hussiten¬ 
kriege in L. ein eigenes Judenviertel 2), u. zw. außer¬ 
halb der Stadtmauern an Stelle der heutigen großen 
Dominikanergasse befand. Nach der Erweiterung der 
Stadt am Ende des 14. Jhts. waren die Juden, die 
unter kgl. Schutze standen, mit ihrer Schule, ihrem 
Bade und ihren Wohnhäusern in den schützenden 
Stadtmauern mit eingeschlossen. Der Platz aber, auf 
dem sie ihre Tandelmärkte abhielten, blieb außerhalb 
der Stadt vor dem Langen Tore. Das Gasthaus „Zur 
Gottsandedas bis in die achtziger Jahre des vorigen 
Jhts. die Aufschrift „Kocanda66 führte, erinnert noch 
heute an den alten Tandelmarkt der einstigen Leit¬ 
meritzer Judengemeinde, in deren Nähe am Ufer des 
Elbearmes der sogenannte „Judengarten \ der heutige 
städtische Holzgarten, liegt. Die Stadtgemeinde er¬ 
kaufte ihn samt Scheuer am 24. April 1775 von Ste¬ 
phan Albin. 
Am Anfang des 15. Jhts. 3) erscheint unter den 
reichen Juden von L. ein „Schmul" (Schmol), der 
dem niedrigen Adel der Umgebung Geldvorschüsse 
gewährte. 
1453 finden wir einen „Lebe jude gesessen zu Lei- 
thomeritz", der auf die vom Herzoge Friedrich von 
Sachsen eingezogene Habe seines im Gefängnisse zu 
Brüx verstorbenen Vaters Isak verzichtete. (Schlesin¬ 
ger, Stadtbuch von Brüx, S. 128 u. f.) 
Die Husitenzeit scheint anfangs keine einschnei¬ 
denden Folgen für die Leitmeritzer Judengemeinde 
gehabt zu haben. 
Im J. 1497 wird in einer Schuldverschreibung der 
Jude Elias in L. und in einem Verzeichnis der jüdi¬ 
schen Gläubiger ein Isak von L. erwähnt, 1498 ein 
Isak Cerny 2 i d von L., 1499 ein Abraham 
Elias Zid von L. König Vladislav gewährt dem 
Abraham Elias und dem Isak von L. den Aufenthalt 
in Prag. (Arch, cesky 18.157.) Der Jude Isak von L. 
dürfte wohl derselbe sein, der der Frau Anna von 
Sullowitz einen Geldbetrag vorstreckte, der nach 
einem Auftrage König Vladislavs vom 26. April 1505 
bezahlt werden sollte. Am Anfang des 16. Jhts. muß 
es in L. noch reiche Juden gegeben haben. Denn als 
nach langem, wegen einer Kleinigkeit geführten 
Streite zwischen der Stadtgemeinde und dem Ritter 
Hans von Polenks ein Ausgleich zustandekam und die 
Gemeinde sich zur Zahlung von 500 Schock meißnisch 
verpflichtete, zu welcher Summe ihr 300 Schock fehl¬ 
ten, da war es ein Jude Isak, der ihr hiezu 125 Schock 
schenkte, während die restlichen 75 Schock von zwei 
Bürgern der Stadt geborgt wurden. 
Am 14. Oktober 1529 fordern die obersten kgl. 
Hauptleute des Königreichs Böhmen Zdenëk Lew 
von Rozmtal und Radzlaw Berschkowsky den Bürger¬ 
meister und Rat der Stadt L. auf, keine Beschimpfung 
und Verfolgung der Leitmeritzer Juden seitens der 
Bewohner zu dulden, denn der König habe ihnen vor 
seiner Abreise strengstens befohlen, die Juden in die¬ 
ser Hinsicht zu schützen. Wenn jemand dagegen han¬ 
deln würde, so sollen sie ihn den kgl. Hauptleuten an¬ 
geben. Ferner sollen sie den Judenältesten in L. bei 
der Einhebung der Steuer gegen die Türken behilf¬ 
lich sein. 
Am 11. März 1534 erteilt König Ferdinand dem 
Juden Isak die Erlaubnis, in L. unbehindert wohnen 
zu dürfen4). 
Am 24. Mai 1539, — in diesem Jahre finden wir 
in L. unter anderem die Juden Schmohel, S a- 
doch, Abraham, Isdrahel, Jakob und 
Litomërice 1 
303 
Leitmeritz í
	        
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